Die teure Reaktivierung der Frührentner
Die teure Reaktivierung der Frührentner
Hinzuverdienstgrenze soll abgeschafft werden. Der Wirtschaftsweise Martin Werding warnt vor unerwünschten Nebenwirkungen
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) werkelt im Schatten der großen Inflations- und Energiekrise an seinen Rentenplänen. Als Vorgriff auf die angekündigte große Reform zur langfristigen Stabilisierung der Alterssicherung gibt es schon eine erste Entscheidung: Frührentner dürften künftig ohne Limit dazuverdienen. Weitere Schritte sollen noch in diesem Jahr folgen.
Die vom Kabinett beschlossene Streichung der Hinzuverdienstgrenze für Frührentner bringt zwar für die Rentenkasse noch keine große Veränderung. Doch hofft die Wirtschaft auf eine Entlastung des in vielen Branchen leergefegten Arbeitsmarktes. Denn die bisherige Hinzuverdienstgrenze von 6000 Euro im Jahr kam faktisch einem Berufsverbot für Frührentner gleich. Befristet war die Grenze zwar bereits in der Coronakrise deutlich angehoben worden, wäre aber ohne die jetzt geplante Gesetzesänderung wieder auf 6000 Euro gesunken.
Frührentner bilden ein beachtliches Fachkräftereservoir. Denn es ist in Deutschland nicht die Ausnahme, sondern die Regel, vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund sind im vergangenen Jahr rund 858.000 Personen in die Altersrente gegangen. Eine halbe Million dieser Neuzugänge entfalle auf eine vorgezogene Altersrente, teilte die Behörde auf Anfrage mit.
„Von diesen vorgezogenen Altersrenten waren knapp 211.000 Neuzugänge auch mit einem Abschlag versehen.“
Die größere Gruppe der Frührentner geht somit über die sogenannte „Rente mit 63“, also die Rente für besonders langjährig Versicherte, abschlagsfrei in den Ruhestand. Dabei handelt es sich um Personen, die mindestens 45 Versicherungsjahre vorweisen können, wozu neben Erwerbsphasen auch Zeiten der Kindererziehung, der Pflege und der Arbeitslosigkeit zählen.
Allerdings klettert auch bei der 2014 eingeführten „Rente mit 63“ die Altersgrenze im Gleichschritt wie beim regulären Renteneintritt. Momentan liegt sie bei 64 Jahren und steigt bis 2030 auf 65 Jahre. Vom Vorteil der abschlagsfreien Frührente haben zwischen 2014 und 2021 schon knapp zwei Millionen Versicherte Gebrauch gemacht – ein erheblicher Verlust an überwiegend gut ausgebildeten Fachkräften.
„Die Neuregelung gibt den Versicherten die Möglichkeit, allmählich aus dem Arbeitsleben herauszugleiten“, sagt der Wirtschaftsweise Martin Werding.
Bisher gebe es ein solches Herausgleiten noch viel zu selten. Der renommierte Sozialexperte warnt allerdings, dass mit Blick auf den Fachkräftemangel die geplante Streichung der Hinzuverdienstgrenze „auch als Schuss nach hinten losgehen könnte“. Denn der vorzeitige Rentenbezug werde für ältere Arbeitnehmer nun noch attraktiver, wenn sie daneben nach Belieben weiterarbeiten könnten.
Die Neuregelung schaffe nach beiden Seiten hin Flexibilität, und man wisse immer erst hinterher, welche Verhaltensänderungen so eine Gesetzesänderung bewirke, sagt das Mitglied des Sachverständigenrats. Werding kritisiert, dass in Deutschland die Abschläge bei einem frühzeitigen Ausscheiden zu niedrig angesetzt seien. Wer ein Jahr vorzeitig in Ruhestand geht, bekommt dauerhaft eine um 3,6 Prozent gekürzte Rente, bei zwei Jahren sind es 7,2 Prozent. „Versicherungsmathematisch korrekt müssten es aber eher fünf Prozent pro Jahr sein“, sagt der Topökonom. „Die Streichung der Hinzuverdienstgrenze passt außerdem schlecht zur sogenannten Rente mit 63.“
Die abschlagsfreie Frührente ist schließlich eine finanzielle Vergünstigung, die den besonders langjährig Versicherten gewährt wird und die die Rentenversicherung belastet. Werding weist darauf hin, dass die meisten Frührentner gesundheitlich fit seien und durchaus noch weiterarbeiten könnten.
„Für die Unternehmen waren diese Personen bisher wegen der geringen Hinzuverdienstgrenze besonders schwer zu halten“, sagt der Sozialexperte.
Den Arbeitgebern reicht das Streichen der Hinzuverdienstgrenze allerdings nicht. „Die abschlagsfreie Rente ab 63 sollte so schnell wie möglich auslaufen“, fordert Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Schließlich konterkariert diese staatlich geförderte Frührente die Wirkung der 2007 beschlossenen Heraufsetzung der Altersgrenze auf 67 Jahre. Daten der Industrieländerorganisation OECD zeigen zudem, dass es am Arbeitsmarkt für die Älteren in Deutschland seit Jahren immer besser läuft.
„Im internationalen Vergleich hat sich die Erwerbsquote bei den Älteren in Deutschland besser entwickelt als in allen anderen EU-Ländern“, sagt die Sozialexpertin der OECD, Monika Queisser.
2010 arbeiteten hierzulande 44 Prozent der 50- bis 74-Jährigen. 2020 lag diese Quote bei 57 Prozent und damit deutlich über dem EU-Durchschnitt von 48 Prozent. Besonders groß war der Zuwachs bei den 55- bis 65-Jährigen, von denen mittlerweile 72 Prozent erwerbstätig sind, im EU-Durchschnitt sind es lediglich 60 Prozent. Bei den 65- bis 69-Jährigen liegt der Anteil immerhin in Deutschland bei 17 Prozent (EU: 15 Prozent).
Sollte der Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen die Frührentner wie erhofft zum längeren Arbeiten motivieren, brächte das auch der Rentenkasse Mehreinnahmen. Denn bis die etatmäßige Altersgrenze erreicht ist, fallen ganz regulär Sozialabgaben an. Eine große Entlastungswirkung für die Rentenversicherung erwarten die Fachleute allerdings nicht. Anders wäre das bei einer Anhebung der gesetzlichen Altersgrenze. Einen solchen Schritt hat die Ampel-Koalition jedoch explizit ausgeschlossen.
Der Wirtschaftsweise Werding drängt auf weitere Reformen: „Wir brauchen jetzt rasch den Einstieg in eine verbindliche Kapitaldeckung in der Alterssicherung. Und sie muss viel effizienter als bisher organisiert werden.“ Nur dann werde es auch für die heute unter Dreißigjährigen noch auskömmliche Alterseinkünfte geben. Das Ansparen von Kapital in Form von Betriebsrenten und privater Vorsorge ist bislang freiwillig. Vor allem die Riesterrente leidet zudem unter geringer Rendite.
Dass die Jüngeren einerseits die künftig stark steigenden Rentenbeiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung schultern müssen und sich gleichzeitig eine kapitalgedeckte Zusatzvorsorge aufbauen sollen, hält Werding für unumgänglich und auch für zumutbar.
„Unzumutbar für die Jüngeren wäre es dagegen, wenn die Ampel wie vorgesehen die Haltelinie beim Rentenniveau dauerhaft auf dem heutigen Niveau festschreibt“, warnt das Sachverständigenratsmitglied.
Genau in diese Richtung zielen jedoch Heils Rentenpläne. Das Rentenniveau soll dauerhaft bei 48 Prozent stabil gehalten werden. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das unfinanzierbar wird“, sagt Werding. Die Bundesbank warnt davor, dass langfristig dann ein Ansteigen des Rentenbeitragssatzes von 18,6 auf 29 Prozent droht. Bei einem raschen Ausbau der Kapitaldeckung könnte das Leistungsniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung langsam sinken, weil andere Alterseinkünfte dies kompensierten, sagt Werding.Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das unfinanzierbar wird
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