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12.9.2022, DIE WELT, von Michael Fabricius, Holger Zschäpitz
4 Min. Lesedauer

Toxisches Triple

Toxisches Triple

Baugeld ist teuer wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Grund sind drei Faktoren, die die Niedrigzinsphase in Rekordzeit beendet haben.

Seit Januar hat sich der Preis für zehnjähriges Baugeld mehr als verdreifacht. Inzwischen beträgt der durchschnittliche Zins 3,3 Prozent. Das ist der höchste Wert seit 2011. Wer heute sein zehnjähriges Darlehen refinanzieren muss, sieht sich mit höheren Zinsen konfrontiert. Zum ersten Mal seit 2008 verteuert sich wieder die Anschlussfinanzierung. Allerdings war das ein absolutes Ausnahmejahr. Seit den 1980er-Jahren sind die Zinsen eigentlich nur gefallen. Hausbauer mussten immer weniger für ihr Baugeld zahlen. Das hat sich jetzt geändert. Gleich drei Gründe verbinden sich zu einer toxischen Mischung, die die Hypothekenzinsen regelrecht explodieren lässt.

Da ist die Europäische Zentralbank (EZB), die inzwischen mit Jumbozinserhöhungen gegen die Inflation vorgeht. Gerade haben die Währungshüter zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Leitzins gleich um 0,75 Prozentpunkte angehoben. Und diese Verteuerung des Geldes schlägt auch auf die Konditionen der Baudarlehen durch. „Wir gehen nach der EZB-Entscheidung von Volatilität, aber grundsätzlich von weiter leicht steigenden Bauzinsen in den nächsten Monaten aus. Bis zum Jahresende erwarten wir Zinsen um etwa 3,5 Prozent für zehnjährige Darlehen“, sagt Mirjam Mohr, Vorständin für das Privatkundengeschäft beim Immobilienfinanzierer Interhyp.

Ähnlich sieht das Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender vom Finanzierungskonkurrenten Dr. Klein: „Auch in den nächsten Monaten muss die EZB alles in den Ring werfen, um Entschlossenheit zu demonstrieren und die Inflation zumindest einzudämmen – und das kann die Zinsen für Baufinanzierungen weiter unter Druck setzen.“ Neumann erwartet, dass die Bauzinsen bis Ende des Jahres tendenziell weiter steigen und merklich über der Drei-Prozent-Marke liegen werden: „Erst wenn sich ein signifikanter Rückgang der Inflation zeigt, kann Christine Lagarde das Tempo drosseln.“

„Die gestiegenen Zinsen, Lebenshaltungskosten, Bau- sowie Energiepreise sind in den Beratungsgesprächen aktuell allgegenwärtig.“

Die Verteuerung der Lebenshaltungskosten geht an den Immobilienfinanzierungen nicht spurlos vorüber. Banken sind neuerdings deutlich vorsichtiger, was die finanzielle Belastbarkeit der Kreditnehmer angeht. Verdreifachte Heizkosten, höhere Lebensmittelpreise und die Verteuerung des gesamten Lebens werfen so manches Monatsbudget im Privathaushalt über den Haufen. Dieses Budget aber dient den Kreditinstituten als Grundlage für ihre Kalkulation, wie hoch eine Monatsrate aus Zins und Tilgung sein kann, ohne dass ein Kreditausfall droht. Bei der Berechnung der persönlichen Bonität wird jedes Detail erfragt – ob Kosten für Haushalt, Kinder, Auto oder teure Medikamente.

Hier ändern sich gerade die Grundannahmen: „Die gestiegenen Zinsen, Lebenshaltungskosten, Bau- sowie Energiepreise sind in den Beratungsgesprächen aktuell allgegenwärtig“, weiß Markus Budde, Spezialist für Baufinanzierung bei Dr. Klein in Koblenz. Kunden, die knapp kalkulieren müssen, werden von den Banken mit hohen Risikoaufschlägen belegt. Das hat gleich mehrere Folgen. Einerseits müssen sich manche Kaufinteressenten von ihren ursprünglichen Immobilienträumen verabschieden und eine Nummer kleiner kaufen. „Generell ist zu beobachten, dass die Darlehenssummen kleiner werden“, sagt Neumann. Viele Interessenten würden sich vermehrt bei Bestandsimmobilien umsehen, da Neubauten schwer kalkulierbar sind.

Andererseits nehmen die Käufer eine längere Verschuldung in Kauf, um höhere Zinsen und hohe Kaufpreise stemmen zu können: Der durchschnittliche anfängliche Tilgungssatz ist binnen zwölf Monaten von 2,71 Prozent auf 2,19 Prozent im August 2022 gesunken. Die Rechnung dahinter ist einfach: Wenn man jährlich fünf Prozent der Kreditsumme aufbringen kann und der Zins von zwei auf drei Prozent steigt, senkt man die Tilgung umgekehrt von drei auf zwei Prozent. Trotz Annuitäteneffekt, bei dem der Zins im Laufe der Zeit durch Tilgung ersetzt wird, bleibt man dadurch länger in den roten Zahlen, und auch eine Kreditablöse nach den ersten zehn oder 15 Jahren wird teurer.

„Für Normalverdiener ohne nennenswerten Vermögenshintergrund ist die Finanzierung der eigenen Immobilie immer schwieriger machbar.“

„Der Tilgungssatz ist eine gängige Stellschraube, an der Darlehensnehmer drehen können, um die monatliche Rate zu reduzieren“, heißt es bei Dr. Klein. Noch liege die durchschnittliche Tilgung oberhalb der empfohlenen zwei Prozent. Doch ob das bei dem jetzigen Zinssprung noch so bleiben kann, ist fraglich. Für viele Kaufinteressenten platzt der Eigenheim-Traum damit endgültig. „Gerade bei Neubauten gibt es derzeit eine Nachfragedelle, weil die Baupreise aus dem Ruder gelaufen sind, Kapazitätsengpässe die Planbarkeit erschweren und Bauträger Kosten nicht langfristig kalkulieren können“, beobachten die Dr.-Klein-Berater. „Für Normalverdiener ohne nennenswerten Vermögenshintergrund ist die Finanzierung der eigenen Immobilie immer schwieriger machbar“, sagt Neumann.

Und auch die Banken sehen sich einem raueren Umfeld gegenüber. Für viele Institute, die die ausgegebenen Hypothekenkredite nicht mit den eigenen Kundeneinlagen gegenfinanzieren können, verteuert sich die Refinanzierung. Sie müssen Pfandbriefe am Markt verkaufen, die sie mit den Hypotheken der Kunden besichern, und dafür immer mehr Rendite bieten. Der Zinsaufschlag zehnjähriger Pfandbriefe zu Bundesanleihen mit gleicher Laufzeit hat sich seit Jahresanfang von 0,4 Prozentpunkten auf fast einen Prozentpunkt verteuert. Und diesen Risikoaufschlag reichen die Banken an ihre Kunden weiter.Das Gemisch aus steigenden Leitzinsen, sinkender Bonität der Kreditnehmer und schlechteren Refinanzierungsbedingungen der Banken wird zum toxischen Triple für das Baugeld. Und die Lage dürfte sich nicht so schnell entspannen. Denn eine vierte Komponente verdüstert zunehmend die Finanzierung: Kreditnehmer müssen immer mehr Eigenkapital mitbringen, das als Puffer für die Geldhäuser dient, sollte ein Projekt scheitern. Statt vom toxischen Triple könnte schon bald die Rede vom qualvollen Quartett sein.

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12.9.2022, DIE WELT, von Michael Fabricius, Holger Zschäpitz

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